Dorthin gehen, wo es wehtut: nach Dresden und Athen
Dorthin gehen, wo es wehtut: nach Dresden und Athen
TIM SOMMER, CHEFREDAKTEUR
LIEBE LESERIN, LIEBER LESER ,
am 6. Februar ließ Manaf Halbouni drei ausrangierte Linienbusse vor der Dresdner Frauenkirche aufrichten. Seit Hans Haackes Arbeit Der Bevölkerung (2000) für den Deutschen Bundestag und Peter Eisenmans Denkmal für die ermordeten Juden Europas (2005) hat es hierzulande kein Kunstwerk mehr gegeben, dass politische Wirksamkeit nicht nur behauptet hat, sondern tatsächlich so zum Politikum wurde.
Was macht diese Arbeit so stark? Der richtige Ort, der richtige Zeitpunkt, ihre streitbare Symbolkraft. Vor allem aber Halbounis seltener Mut zur plakativen und verstörenden Geste jenseits der tausendprozentigen politischen Korrektheit.
Im belagerten Aleppo hatten drei aufrecht stehende Busse in einer Straße als Schutz vor Scharfschützen gedient, wobei im Grunde egal ist, welche Kriegspartei oder Miliz sie nun errichtet hat. Halbouni, ein Deutschsyrer übrigens, hat dieses Symbolbild des Bürgerkriegs dorthin transplantiert, wo heute »Pegida« gegen Flüchtlinge hetzt, vor die wiederaufgebaute Frauenkirche, die als Ruine Jahrzehnte ein Mahnmal gegen den Krieg gewesen war. Das Kunstwerk kam pünktlich zum Jahrestag der Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1945, der von links wie rechts regelmäßig instrumentalisiert wird.
Halbounis Monument bringt die brutale Realität einer Trümmerwüste von heute in die wiedergewonnene Idylle am Dresdner Neumarkt, den ein anderer Krieg zur Trümmerwüste gemacht hatte. Die Proteste von angeblichen Patrioten gingen bis zur Morddrohung an den Oberbürgermeister, von »Volksverrätern«, von »entarteter Kunst« soll die Rede gewesen sein, aber das Monument steht, drei Stachel im Pflaster der Denkfaulheit.
Warum ich das als Einleitung für ein Heft ZUR DOCUMENTA schreibe? Adam Szymczyk hat entschieden, seine DOCUMENTA 14 statt im etablierten Kunstschutzraum von Kassel zunächst in Athen starten zu lassen, auf dem harten Pflaster, wo sich heute Finanzkrise und Flüchtlingskrise begegnen. Mit diesem Kraftakt einer Verpflanzung ist der politische Anspruch definiert, Ort und Zeit scheinen zu passen. Wir werden sehen, ob es ihm auch gelingt, wirklich streitbar zu sein, genügend Anstoß zu erregen – damit seine DOCUMENTA nicht doch noch als Predigt an die Bekehrten in die Geschichte eingeht.
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Brückenschlag von Aleppo nach Dresden: Manaf Halbounis »Monument« steht noch bis zum 3. April vor der Frauenkirche -
PS: Diesem Heft folgen noch zwei weitere zur documenta 14: Die Juni-Ausgabe erscheint zum Start der Weltkunstschau in Kassel, dann folgt das aktuelle Sonderheft im Großformat!