Wie Haringey die Kunst lieben lernte – und sie doch verlor

Wie Haringey die Kunst lieben lernte – und sie doch verlor

Tim Sommer, Chefredakteur chefredaktion@art-magazin.de

Liebe Leserin, lieber Leser,

es gibt Geschichten, die auch ohne Happy End gute Laune machen. Zum Beispiel diese: Im Mai 2012, einen Monat vor dem pompösen Thronjubiläum der Queen, schlich Banksy mit Schablone und Spraydose durch den armen Nordlondoner Stadtteil Haringey. An der Wand eines Billigdiscounters platzierte das ruhmreiche Street-Art-Phantom eines seiner Stencils: Wie so oft ein bisschen platt, aber auch ziemlich bissig. Ein kleiner asiatischer Junge, barfuß und auf Knien, näht Union- Jack-Wimpel: Kinderarbeit für das große Staatstheater. Das Bild wurde zur Attraktion der Gegend, die noch im Jahr zuvor Schauplatz von Unruhen gewesen war. Ab der U-Bahn gab es Wegweiser, eine Plexiglasplatte schützte die Sehenswürdigkeit vor Hundedreck und Übermalung. Die Leute waren stolz darauf, es war schließlich ihr Banksy – zumindest gefühlt.

Bis einer ihn dann doch für sich allein haben wollte. Übers Wochenende wurde ein Gerüst aufgebaut, und als die Plane fiel, war die Wand frisch verputzt und der Banksy weg. Der Rekord für ein Bild von ihm, aufgestellt 2008 beim Auktionshaus Sotheby’s liegt bei 1,8 Millionen Dollar – allerdings für Spray auf Leinwand. Da liegt es nahe für einen Hausbesitzer, die Passanten zu enteignen. „Sklavenarbeit” sollte in Miami versteigert werden, eingeliefert von einem anonymen „Sammler”. Taxe bis zu 700 000 Dollar.

Daraus wurde nichts. Haringey stand auf für die Kunst: „Bring back our Banksy”, skandierten die Leute vorm Supermarkt. Der Arts Council, die Politik und Scotland Yard schalteten sich ein. Das Bild wurde aus der Auktion genommen, zurück ist es deshalb noch lange nicht. Als Kunst hat es sich ohnehin aufgelöst, das ist die bittere Pointe. Graffiti sind, wenn überhaupt, nur solange Werke, wie sie sich vor Ort befinden und allen gehören. Herausgebrochen werden sie zum Kitsch, den weder große Liebe noch viel Geld wieder zur Kunst machen. Deshalb autorisiert Banksy auch keine abgenommenen Werke.

  • Kunstwerk auf Zeit: Das Banksy-Stencil am Supermarkt im Nordlondoner Stadtteil Haringey wurde abgenommen, die Auktion in Miami konnten die wütenden Anwohner verhindern