Kommen und Gehen am Trafalgar Square

Kommen und Gehen am Trafalgar Square

Tim Sommer, Chefredakteur chefredaktion@art-magazin.de

Liebe Leserin, lieber Leser,

wie holt man zeitgenössische Kunst in den öffentlichen Raum? Ein bisschen wehtun muss sie ja, sonst wird sie zum bequemen Stadtmöbel. Ist sie aber zu stachelig, dann geht ihr das Volk aus dem Weg. Und egal, was man zeigt: Ist die Kunst zu lange da, nutzt sich zwangsläufig jede Wirkung ab, die Diskussionen erlahmen – und was bleibt, ist nicht selten ein Pflegefall für die Stadtgärtnerei.

London zeigt, wie man es richtig macht. Seit 1999 wird hier wechselnd eine Leerstelle bespielt, die prominenter nicht sein kann. Mitten auf dem Trafalgar Square thront ewig Admiral Nelson auf seiner Säule, zwei Sockel sind mit Generälen des Empire besetzt, eine mit King George IV. zu Pferd. Der vierte Sockel links vor der National Gallery ist lange leer geblieben, wohl mangels Nachwuchs an Helden, die auch hoch zu Ross eine gute Figur gemacht hätten.

Jetzt setzen Elmgreen & Dragset die Erfolgsgeschichte der „Fourth Plinth“ fort. Anspielungsreich und umstritten waren die flüchtigen Werke auf dem monumentalen Sockel immer. Marc Quinn stellte 2005 eine Marmorbüste der Künstlerin Alison Lapper auf, die ohne Arme und mit verkrüppelten Beinen zur Welt gekommen war: ein Torso, der die Frage nach der Vollkommenheit stellt. Yinka Shonibare ließ Nelsons Flaggschiff unter afrikanischen Segeln fahren: ein Denkmal des Kolonialismus.

Aber keiner hat bisher so schlau die heroische Blaupause des Reiterdenkmals aktualisiert wie das skandinavische Künstlerduo. Ihre Bronzeskulptur „Powerless Structures, Fig. 101“ zeigt einen Jungen auf einem Schaukelpferd. So „unschuldig“ wie die Künstler behaupten, ist der Kleine gar nicht. Auch unterteilen Kinder die Welt sehr wohl in Gut und Böse. Aber gerade in ihrer Doppeldeutigkeit von Agressivität und Spiel liegt der Charme von Elmgreen & Dragsets Intervention am Siegesplatz des Empire im Olympiajahr 2012. Danach verschwindet sie auch wieder – und macht Platz für neue Interpretationen.

Neu auf dem Trafalgar Square: „Powerless Structures, Fig. 101“ von Elmgreen & Dragset. Darunter im Uhrzeigersinn Skulpturen von Marc Quinn (2005), Thomas Schütte (2007), Antony Gormley (2009) und Yinka Shonibare (2010)