Zuckersüßes »Bridgerton« – und was es mit Kunst zu tun hat

Zuckersüßes »Bridgerton« – und was es mit Kunst zu tun hat

chefredaktion@art-magazin.de

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,

ja, der Lockdownmonat Januar war besonders trist: Es war kalt und feucht und finster. Da habe ich schließlich nachgegeben. Acht Folgen Bridgerton am Stück geschlemmt, eine Serie wie eine Schale Bonbons, zuckersüß, quietschbunt und sündig. Ich bin nicht allein in meiner Schwäche: Die frische Regency-Romanze ist die erfolgreichste Produktion von Netflix überhaupt, weit über 100 Millionen Abrufe sollten es wohl mittlerweile sein. Sie ist divers besetzt, so wie das heute üblich ist, wenn man für ein Weltpublikum filmt. Sonst funktioniert alles so, wie man das aus Jane-Austen-Romanen und deren Verfilmungen kennt: Junge Edeldamen in schönen Kleidern begeben sich auf einen geld- und ranggesteuerten Heiratsmarkt und hoffen, dass sich nebenbei auch die große Liebe ergibt. Hier aber ist die beste Partie ein schwarzer Herzog, und auch die britische Königin zur Ballsaison von 1813 ist wie selbstverständlich Person of Color. Die »Rassen«-Schranken sind also in diesem Historienmärchen rückwirkend niedergerissen, so entsteht eine Traumwelt mit Identifikationsfiguren für jede und jeden in der Weltfamilie.

  • Beschlagnahme des weißen Territoriums: Kehinde Wileys »Napoleon Leading the Army over the Alps« (2005)
  • Geschichtsrevisionen: Das MoMA sucht nach einem gerechten Kanon; die Serie »Bridgerton« konstruiert eine Traumwelt für alle

Die Kunst kennt diese Geschichtsmanipulationen zum höheren Zweck von jeher. Sie reichen von der platten Idealisierung der nationalen Herkunft bis zur frechen Anverwandlung feindlicher Pathosformeln – also vom Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald bis zu Kehinde Wileys altmeisterlichem Gemälde eines afroamerikanischen Napoleon.

Für die Museen ist die Sache freilich komplizierter als für Künstler und Serienschöpferinnen. Auch sie greifen jetzt in eine scheinbar fest gefügte (männlich-weiße) Kunstgeschichte ein, um sie nachträglich gerechter – aber eben auch anschlussfähiger für ein heutiges Publikum zu machen. Es ist eine Gratwanderung zwischen Wahrhaftigkeit und erwünschtem Verhalten: Sie suchen nach unterbewerteten weiblichen Positionen, nach übersehenen Herkünften und Perspektiven und montieren sie korrigierend ein – aber müssen doch aufpassen, dass dabei keine Märchenwelt entsteht, die schöner ist als die Wirklichkeit je war.