Ein diplomatischer Fauxpas aus falscher Rücksichtnahme
Ein diplomatischer Fauxpas aus falscher Rücksichtnahme
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Tim Sommer, Chefredakteur chefredaktion@art-magazin.de -

Blickdicht: ein Gang im Vatikan mit verbretterten Statuen, rechts die berühmte Kapitolinische Venus - die sich schon immer etwas schüchtern selbst bedeckte -
LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,
als der iranische Präsident Hassan Rohani beim Staatsbesuch in Italien auch im Vatikan vorbeischaute, wurden einige barbusige antike Statuen auf seinem Gehweg durch den musealen Kirchenstaat vorsorglich eingehaust. Prompt und groß war die Empörung über diese mangelhafte Standfestigkeit des Abendlandes im Angesicht des morgenländischen Würdenträgers mit seinen plötzlich wieder flüssigen Ölmillionen, über den vorauseilenden Gehorsam, mit dem sogar unserer kostbaren, einzigartigen Kapitolinischen Venus eine Holzplattenburka übergestreift wurde, nur um dem muslimischen Staatsgast womöglich peinliche Seitenblicke zu ersparen. Wobei freilich keiner weiß, ob es der Orientale wirklich so eng gesehen hätte. Natürlich wollte es am Ende keiner gewesen sein. Eine übereifrige Protokollchefin hatte angeblich auf eigene Faust gehandelt und vorsorglich den Tischler bestellt. Peinlich war die Verhüllungsaktion für beide Seiten, den Vatikan und ganz Italien, die mit ihrer Baumarkt-Camouflage reichlich unsouverän erschienen - und für den iranischen Staatsgast, der durch Nachfragen genötigt wurde, das alberne Versteckspiel zu seinen Ehren auch noch als Akt der Gastfreundschaft zu sanktionieren.
Interessant an dieser Anekdote, die sicher in die Pleiten-, Pech- und Pannen-Annalen der Diplomatie Eingang findet, ist die stolpernde Unsicherheit, in die man offenbar fast zwangsläufig gerät, wenn man den sicheren Hafen der interkulturellen Stereotype verlässt und versucht, frei im Ozean der politischen Korrektheit zu segeln. Noch vor ein paar Jahrzehnten, Kunst und Literatur sind voll von Beispielen, waren es zwei Dinge, die man hier, romantisch verbrämt, mit dem Orientalischen verband: die Lüsternheit und die Weisheit. Offenbar lässt sich das Begriffspaar auch heute nicht trennen. Lüsternheit mag man nicht mehr unterstellen - aber Weisheit dann bitte auch nicht mehr zugestehen. Ich vermute, dass sich Herr Rohani bei seinem Vatikan-Besuch nicht ganz ernst genommen fühlte. Und das ist wohl das Schlimmste, was in einer globalisierten Welt passieren kann.
Vielen Dank an die mehreren Tausend Einsender zum Publikumspreis des Preises der Nationalgalerie (art 9/2015). Gewonnen hat das Künstlerkollektiv »Slavs and Tatars«!