Auftragskunst – das letzte Tabu

Auftragskunst – das letzte Tabu

Tim Sommer, Chefredakteur chefredaktion@art-magazin.de

Liebe Leserin, lieber Leser,

Künstler sind die letzten freien Menschen, heißt es. Und in gewisser Weise stimmt das auch: Ihr Tun folgt keinerlei Vorgaben, keinem Kanon, schon gar keinem Tarifvertrag – allenfalls den unerbittlichen Gesetzen von Angebot und Nachfrage. Darin, sich Letzeres nicht einzugestehen, liegt eine liebgewordene Lebenslüge der Kunst seit der Moderne. Künstlerische Freiheit kann heute anscheinend nur absolut gedacht werden: frei erfunden, frei empfunden. Was nicht gänzlich frei ist, ist nach dieser reinen Lehre auch keine Kunst. Dabei gibt es Einschränkung und Konzilianz in allen Härtegraden. „Auftragskunst“ ist auch im freien Kunstsystem gang und gäbe: Diese These vertritt Wolfgang Ullrich in einem Beitrag für diese Ausgabe. Seit 2012 untersucht der Karlsruher Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie in seiner art- Kolumne „Bildseminar“ visuelle Muster aus Kunst und Medienwelt. Nun rechnet er in einem Essay mit dem Mythos des total freien Einzelkämpfers ab. Er fordert Künstler, Mäzene und Institutionen auf, das letzte Tabu Auftragskunst zu brechen und sich der Aufgabe selbstbewusst zu stellen (ab Seite 20). Würde Ullrichs Rat beherzigt, wäre das Gelingen von Auftragskunst vielleicht nicht länger dem Zufall überlassen – und uns blieben demnächst zumindest die schlimmsten Zumutungen ästhetischer Dienstleistung erspart. Gerade Denkmalausschreibungen mit ihren präzisen Anforderungskatalogen führen regelmäßig zu den biedersten Illustrationen. Ein typisches Beispiel dafür ist Stephan Balkenhols Richard-Wagner-Denkmal an der alten Stasizentrale in Leipzig, aufgestellt im letzten Jahr: ein Männchen in bemalter Bronze mit Wagnerkopf vor dem „Schatten der Geschichte“ …banaler und pädagogischbraver geht es nicht. Dabei lehrt die Geschichte, dass die geforderte „Zweckdienlichkeit“ die Kunst nicht automatisch zum Gewerbe machen muss.

  • Ob Kunst im Auftrag gelingt, ist meist dem Zufall überlassen: links Gerhard Richters berührendes Fenster für den Kölner Dom, rechts Stephan Balkenhols banales Denkmal für Richard Wagner in Leipzig

PS: Die große Emil-Nolde-Schau im Frankfurter Städel (siehe Bericht ab Seite 30) wird Furore machen. Bewerben Sie sich jetzt um eine exklusive Führung für unsere Abonnenten am 11. März unter spielmann.martina@dpv.de!