Hitlers Uhr und Daphnes Mühen

Hitlers Uhr und Daphnes Mühen

Liebe Leserin, lieber Leser ,

Tim Sommer, Chefredakteur

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„Hitlers Uhr, Deutschlands Geheimnis“ titelte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ Ende Januar - und konstatierte ein „moralisches Desaster, das in den fünfziger Jahren seinen Anfang nahm und bis heute anhält“. Auch abgesehen davon, dass „Hitlers Uhr“ eigentlich die von Eva Braun war, nimmt es die Geschichte über den „riesigen Kunstschatz“ der Nazis, der in „deutschen Museen verborgen wird“, nicht sehr genau mit den Feinheiten der Restitution. Denn Hermann Görings diamantbesetzter Champagnerkelch, seine goldene Zigarettendose oder gar seine Geweihsammlung haben denkbar wenig zu tun mit den Kunstwerken in den deutschen Museen, die den Opfern der Diktatur auf den verschiedensten Wegen geraubt oder abgepresst wurden. Die geschmacklosen Preziosen der Nazigrößen sind in den stillen Depots bestens aufgehoben. Das zeigt schon die seltsame Faszination der „Spiegel“-Redaktion für diese Devotionalien. Geradezu absurd ist die Idee, das Zeug ausgerechnet zu Gunsten von Naziopfern zu versteigern. Hitlers Tafelsilber in die Sammlung eines antisemitischen Scheichs - sehr weltfremd.

Richtig ist, dass seit der Washingtoner Erklärung von 1998, in der sich die deutschen Museen verpflichtet haben, sämtliche NS-verfolgungsbedingten Vermögensverluste rückgängig zu machen, zwar schon einiges, aber noch viel zu wenig passiert ist. Früher wurde gemauert, heute geht es zäh voran. Eigentlich wären alle staatlichen Institutionen verpflichtet, aktiv die Herkunft ihrer Bestände zu erforschen, Provenienzen zu erstellen und auf die Erben beraubter Opfer zuzugehen. Das kostet Geld, Zeit und braucht die Größe, selbstkritisch mit dem eigenen Besitz umzugehen. Mustergültig scheint das nur in Sachsen zu funktionieren, wo seit 2008 alle Zugänge in den Staatlichen Kunstsammlungen ab 1933 geprüft werden. 1,2 Millionen Objekte umfasst die Sammlung, bis zu 65 Mitarbeiter sind bei dem Projekt „Daphne“ einbezogen, nicht nur das Unrecht aus der Nazizeit zu bereinigen, sondern auch die Opfer aus Besatzungszeit und DDR zu entschädigen. Es gibt einfache Fälle, und es gibt höchst komplexe mit viel Raum für juristische und moralische Interpretation. Es wäre naiv zu glauben, das ganze Unrecht dieser Welt ließe sich zum Stichtag X bereinigen. Aber genau darin läge das moralische Desaster: sich mit dieser Unmöglichkeit abzufinden. Auch wenn es ewig dauern wird, ist das kein Argument für Langsamkeit.

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