Das schöne Ende einer Lebenslüge
Das schöne Ende einer Lebenslüge

Liebe Leserin, lieber Leser,
wenn man Künstler so richtig ins Stottern bringen will, muss man nur fragen, wie sie’s mit der Schönheit halten. Meist erntet man erst verdutztes Schweigen. Dann bekommt man das Übliche zu hören: Der Künstler wolle Sehgewohnheiten irritieren, visuelle Phänomene hinterfragen, die Schnittstelle von Ornament und Medienrealität ausloten. Ob die Werke irgendjemandem gefallen, sei völlig egal. An Leni Hoffmanns Knetskulpturen kann man natürlich sehr kluge Diskurse entzünden, sie sehen aber auch einfach gut aus. Ich habe so lange gebohrt, bis dann endlich, fast unter Krämpfen, das Bekenntnis aus ihr herausbrach: „Ja, ja, meine Sachen sind herzzerreißend schön!“
Der Schönheit, so hat die Moderne gelehrt, ist nicht zu trauen. Kein Künstler sieht in ihr noch den „Glanz des Wahren“, sie hat den zweifelhaften Ruf einer konsensstiftenden Hohlform für interesseloses Wohlgefallen und ästhetische Befriedung – und die zu liefern gesteht man seit dem 20. Jahrhundert allenfalls Natur und Design zu, nicht mehr den eigenen Bildern und Skulpturen.
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Verführung durch Schönheit: Olafur Eliassons „Your Atmospheric Colour Atlas“ im japanischen Kanazawa, Leni Hoffmanns Fensterinstallation „harah“ in Köln
Wie unsere Titelgeschichte zeigt, hat sich das gesunde Misstrauen der Avantgarde gegenüber allem Schönen inzwischen zur Lebenslüge der Kunst entwickelt. Der sich wandelnde Geschmack vereinnahmt ohnehin jede ästhetische Grenzüberschreitung fast automatisch. Die Schocker von gestern sind die Publikumslieblinge von heute. Und wenn die Kunstkritik die Qualität von Werken auch vorzugsweise als scharfe Auseinandersetzung mit der Welt beschreibt, das Publikum sortiert Kunst immer noch störrisch nach hässlich und schön. Was für den Kunstmarkt sowieso gilt: Nur Sammler, die wirklich etwas davon verstehen, schmücken sich auch mit sperrigen Werken. Kein Wunder also, dass sich Künstler wieder zunehmend ganz offen der guten, alten Verführungstechniken besinnen: Sie nutzen Erhabenheit, Liebreiz, süße Überwältigung – ganz ohne Angst vor Kitsch. Denn auch das ist eine Lehre der Moderne: Schöne Kunst kann sehr belanglos sein – was für hässliche Kunst genauso gilt.