Liebe Leserin, lieber Leser,

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Tim Sommer, Chefredakteur

es musste erst Gerechtigkeit vor Recht gehen. Endlich, 60 Jahre nach Kriegsende, sind zwei große Raubkunstfälle bereinigt. Das Ergebnis ist in beiden Fällen blamabel für die demokratische Öffentlichkeit.

Die Niederlande sind der Empfehlung einer unabhängigen Restitutionskommission gefolgt, den Erben des Amsterdamer Kunsthändlers Jacques Goudstikker (art 7/2005) 202 Gemälde zurückzugeben. Die Regierung in Den Haag hatte argumentiert, der erzwungene Verkauf der Werke an Hermann Göring sei eine freiwillige Transaktion mit dem Feind gewesen. Die nach dem Krieg aus Deutschland zurückgekehrten Bilder wurden an die Museen im Land verteilt. Die Witwe des auf der Flucht vor den deutschen Besatzern verunglückten Kunsthändlers musste sich nach dem Krieg mit einer geringen Entschädigung zufrieden geben. Erst die durch Enkelinnen in Auftrag gegebenen Recherchen des Kunstdetektivs Clemens Toussaint hatten den Fall wieder ins Rollen gebracht. Jetzt muss das Amsterdamer Rijksmuseum Salomon van Ruisdaels „Flusslandschaft mit Fähre“ (1649) abhängen, das Dordrechts Museum Jan van Goyens „Sicht auf die alte Maas bei Dordrecht“ (1651), viele große niederländischen Museen sind betroffen.

Ähnlich der Fall Maria Altmann. Erst ein Spruch des Washingtoner Supreme Court, der Klagen gegen den österreichischen Staat ermöglicht hätte, zwang die Regierung in Wien, sich einem Schiedsgericht zu unterwerfen (art 7/2005). Hier hatte sich der Staat auf ein höchst umstrittenes Testament berufen, das freilich durch die Judenverfolgung mehr als obsolet geworden war. Nun wurde durch eine unabhängige Kommission bestimmt, dass fünf Gemälde aus dem Besitz des Zuckerfabrikanten Ferdinand Bloch-Bauer an die Erben auszuhändigen sind (siehe Seite 114). Darunter sind die beiden Porträts, die Gustav Klimt von dessen Frau Adele Bloch-Bauer gemalt hat, nationale Heiligtümer allerersten Ranges und unersetzliche Glanzpunkte in der Österreichischen Galerie im Wiener öberen Belvedere.

Es tut weh, auf diese Bilder zu verzichten. Zumal gar nicht sicher ist, dass die Werke nach dem Abtransport auch weiter irgendwo auf der Welt öffentlich zu sehen sein werden.

Aber vielleicht ist der Schmerz ja heilsam. In beiden Fällen hatten sich demokratische Regierungen, assistiert von Museumsleuten, auf formalrechtlich saubere Standpunkte zurückgezogen und diese bis zum Letzten gegen Moral und offenkundige Gerechtigkeit verteidigt. Staaten gegen Naziopfer und deren betrogene Erben - eigentlich unglaublich.

Ihr Tim Sommer

  • Geht aus dem Amsterdamer Rijksmuseum zurück an die Erben von Jacques Goudstikker: „Die Opferung der Iphigenie“ (1671) von Jan Steen. Rechts: „Adele Bloch- Bauer I“ (1907) von Gustav Klimt verlässt das Wiener Obere Belvedere