Ein Jahr NFT-Hype – und was er mit Kunst zu tun hat

Ein Jahr NFT-Hype – und was er mit Kunst zu tun hat

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  • Viel Geld für nix bis heute: Takashi Murakami und RTFKT Studios (2021) launchten das »Avatar Project« mit 20 000 ausgerechneten Bildchen, die als NFT zu haben sind
  • Viel Geld für nix, vor einem Jahr: Beeples digitale Collage »Everydays: The First 5000 Days« brachte als NFT 69,35 Millionen US- Dollar, der Hype begann

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER, vor genau einem Jahr startete bei Christie’s die Online-Auktion, die den Mediengestalter Mike Winkelmann alias Beeple völlig unvermittelt auf Platz 3 der Rangliste der teuersten lebenden Künstler katapultierte. Mit 69,35 Millionen US-Dollar für sein NFT Everydays: The First 5000 Days rangiert er nun direkt hinter Jeff Koons und David Hockney. Das ganze Jahr 2021 über regnete es krude Rekorde für digitale Besitzzertifikate an meist seltsamen Machwerken, die auch sonst jedem und jeder zugänglich sind, weil sie als offene Datei im Netz zur Verfügung stehen. Wir haben regelmäßig über diesen neuen Markt berichtet, auch in diesem Heft (Seite 18) findet sich eine haarsträubende Non-Fungible-Token-Story.

Wie immer hängt die Deutung dem rasanten Verlauf der Moderne im Turbokapitalismus etwas nach. Aber nun hat der Kollege Kolja Reichert, Kurator an der Bundeskunsthalle, ein kleines, kluges Buch vorgelegt, das dem galoppierenden Phänomen der »Krypto-Kunst« (Verlag Klaus Wagenbach, 10 Euro) ein wenig die theoretischen Zügel anlegt.

Interessant finde ich seinen Gedanken, dass auch die Kunstgeschichte eine Blockchain sei: »Jedes gelungene Kunstwerk steht mit allen Werken in Korrespondenz, die es je gab und geben wird.« Darauf beruhe letztlich sein Wert. Aber warum investieren dann Leute Millionen in die »beglaubigte Fiktion« des Besitzes von Katzenbildern und Pixelköpfen, die bestenfalls lose popkulturelle Verknüpfungen haben?

»Bragging Rights« ist dazu der aktuelle Begriff – Angeberrechte! Und das ist nun wirklich etwas, was wir in der Kunstgeschichte von jeher kennen. Auch in der Kunstsammelei geht es ja oft gar nicht um Besitz oder gar Wiederverkaufswert, sondern um die bloße Demonstration der eigenen Finanzkraft und der coolen Kennerschaft durch den öffentlichen Akt des Kaufens. Und in virtuellen Welten wie dem »Metaverse«, wo einem Picassos, Jachten und Villen nichts nützen, gibt man eben mit virtuellen Werten an. Man könne, auch diese Idee bringt Reichert ein, in den »astronomischen Geboten auf willkürlich limitierte Dateien eine Parodie der Absurditäten des Kunstsystems sehen«. So wie es der listige Maurizio Cattelan mit seinen drei Wandbananen für je 120 000 US-Dollar 2019 ganz klassisch kunstclownmäßig vorgemacht hat: viel Geld für nix, schon vor dem Boom der NFTs. Fehlen nur noch die Beispiele für gute NFT-Kunst von wirklichen Künstlern.