Ein gebautes Denk-Mobile – oder ein Fähnchen im Sturm
Ein gebautes Denk-Mobile – oder ein Fähnchen im Sturm
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TIM SOMMER, CHEFREDAKTEUR chefredaktion@art-magazin.de -

Bei der digitalen Eröffnung moderierte Mitri Sirin die Veranstaltung, Generalintendant Hartmut Dorgerloh sein Haus. Das Publikum schaute vom Kosmografen aus zu -
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»Geschichtspolitischer Auffahrunfall «: beim »Humboldt-Forum im Berliner Schloss« trifft Brachialmoderne von Franco Stella auf opulenten Schein-Barock
LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,
das Presseecho zur Eröffnung des Berliner Schlosses, Pardon, des HUMBOLDT-FORUMS, Pardon, des HUMBOLDT-FORUMS IM BERLINER SCHLOSS war verheerend. Kolja Reichert schrieb in der »Zeit« von einem »geschichtspolitischen Auffahrunfall« und meinte damit die verdruckst historisch-brachialmoderne Schlossrekonstruktion selbst. Andreas Kilb nannte in der »FAZ« das Monstergebilde im Herzen der Berliner Republik »unser Kolosseum « und nahm damit die blutigen intellektuellen Schaukämpfe vorweg, die von jetzt an hier ausgetragen werden. Keine Überraschung: Noch nie war eine Kulturinstitution vom Start weg so in der Defensive wie dieses seltsame Innen-wie-außen-Konglomerat aus Stadtmuseum, Wissenschaftsvermittlungsinstitut, Veranstaltungshalle und Völkerkundeschau. Vor allem hier, in den ethnologischen Gefilden oben im Haus, hat sich in den letzten Jahren der laue Gegenwind zum postkolonialen Sturm aufgefrischt, in dem sich kaum noch navigieren lässt. Überall lauern »Anspruchsgemeinschaften« und »Unrechtskontexte«, schwelen Rückgabedebatten und tobt der Kampf um Teilhabe und neue Deutungshoheiten. Es ist ganz schwer, hier gegen allen Rechtfertigungsdruck überhaupt noch etwas richtig zu machen – zumal unter einer wilhelminischen Kuppel mit Kreuz.
Die Zeremonie selbst, lagekonform nur digital gestreamt, hatte denn gleich zwei Profi-Moderatoren: einen vom ZDF-Morgenmagazin und Hartmut Dorgerloh, Generalintendant des Humboldt-Forums – aber eigentlich wohl dessen Showmaster und erster Schönredner, der die verquere Konstruktion auch künftig vor Publikum und Politik zu verkaufen hat. Er verteidige das Haus »mit der Tapferkeit des letzten Mohikaners«, schrieb Claudia Schwartz in der Schweizer »NZZ«. Und er macht es ganz gut. Zur Eröffnung ist einer dieser unvermeidlichen Prachtschinken erschienen, in dem jeder Hauptakteur sein oder ihr eigenes Ruhmesblatt schreiben darf. Dorgerloh formuliert darin eine vorsichtige Vision: Das Humboldt-Forum soll »Denkprozesse gleich einem Mobile in Bewegung setzen«, »Anregungen und Impulse geben für ein friedensstiftendes, respektvolles und verschränktes Miteinander«. Wollen wir hoffen, dass das Ganze nicht auf ein Fähnchen im Wind hinausläuft.
PS: Fast schon notorisch an dieser Stelle: Unsere Terminangaben enthalten leider viele Unwägbarkeiten, die Planungen der Museen sind fließend. Bitte informieren Sie sich zusätzlich vor Ort!