Hoffnung auf Fehlschüsse, die ins Schwarze treffen
Hoffnung auf Fehlschüsse, die ins Schwarze treffen
TIM SOMMER, CHEFREDAKTEUR
-

Schon fast ein Klassiker: Unsere aktuellen Sonderhefte zur Biennale Venedig und zu documenta und Skulptur Projekte Münster erscheinen jeweils kurz nach der Eröffnung und zeigen die Ausstellungen in Bildern und Berichten -
LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,
Rückblick ins Desaster, Ausblick mulmig – das war der Tenor der ehrlichen Neujahrsansprachen. Auch wenn uns die Weltlage nicht fröhlich stimmt: Für die Kunst wird 2017 ein großes Jahr, ein Jahr, in dem sie sich beweisen muss. VENEDIG-BIENNALE, SKULPTUR PROJEKTE MÜNSTER, DOCUMENTA finden in diesem Sommer gleichzeitig statt. Und wenn es früher mit diesen gewaltig dimensionierten Messinstrumenten der Avantgarde darum ging, herauszufinden, wo bei der Kunst jetzt vorn und wo nun hinten war, wird heute sehr viel mehr verlangt: eine Haltung, die uns hilft, mit der Welt klarzukommen.
Hoffnung soll die Kunst stiften, originelle Analysen soll sie liefern, sie soll auf der richtigen Seite stehen, sie soll schön sein und noch dazu brisant, sie soll sich den Fragen der Zeit stellen und die von morgen aufwerfen. Terror, Migration, digitale Überwachung, Klimawandel, Genderthemen, Partizipation, Populismus + x: Die Gefahr der Überforderung ist so groß wie der Anspruch, den die Kunst an sich selber stellt.
Was ich mir von diesem Kunstjahr wünsche? Dass es Künstlern und Kuratoren gelingt, grandios daneben zu liegen und damit ins Schwarze zu treffen. Was ich mir vorgenommen habe? Ohne Vorurteile loszuziehen. Kann Adam Szymczyks halsbrecherisches Experiment glücken, seine DOCUMENTA 14 schon im April in Athen starten zu lassen, bevor sie im Juni mit dem gleichen Künstlertableau auch in Kassel beginnt? Es liegt eine große Chance darin, dorthin zu gehen, wo Europa begann und wo heute unsere mitteleuropäischen Sicherheiten aufhören. Ist die 57. VENEDIG-BIENNALE (Start im Mai) als Festspiel ausgerechnet der Nationen heute noch zeitgemäß? Ja, denn gerade diese altertümliche Konstruktion erlaubt Blicke in fremde Szenen, und selbst Halbdiktaturen sind hier gezwungen, sich erstaunlich liberal zu geben. Und ist Kasper Königs Kleinstadtfestival der Großskulptur (ab Juni) nicht ein Modell von vorgestern, als man die Leute noch zur Zeitgenossenschaft bekehren musste? Münster hat noch für jedes Jahrzehnt bewiesen, dass es Bleibendes schafft. Die Tickets und Zimmer sind gebucht, die Vorschau-Ausgaben und die aktuellen Sonderhefte sind geplant. Wir wollen Ihnen ein guter Begleiter durchs Kunstjahr sein, gut informiert, unterhaltsam, kritisch – aber mindestens so neugierig und offen wie Sie selbst!
PS:
Wie großartig das vergangene Kunstjahr war, sehen Sie an unseren Nominierungen für den ART-Kuratorenpreis 2016 ab Seite 46. Verliehen wird er zur Kunstmesse Art Cologne!