Das geheime Nachleben der Künstler
Das geheime Nachleben der Künstler
Liebe Leserin, lieber Leser,

was haben ein Lüftungsgitter in den Giardini von Venedig und ein Wandbild in Stuttgart gemeinsam? Sie heißen Kunst und sind doch nur Imitationen. Als Julian Heynen als Kurator des deutschen Pavillons für die Venedig-Biennale 2003 Martin Kippenbergers Entwurf für einen „Metro-Lüftungsschacht auf Planet Erde“ realisierte, war der Künstler schon sechs Jahre tot. Grundlage war unter anderem eine lapidare Handzeichnung von 1994. Die Schriftarbeit von Michel Majerus, die Ulrike Groos in ihre große Werkschau im Kunstmuseum Stuttgart (bis 9. April, siehe Bericht auf Seite 111) integrierte, fußt auf Angaben, die der 2002 im Alter von 35 Jahren verunglückte Künstler auf seiner Computerfestplatte hinterlassen hat. Sie war 1998 schon einmal von Majerus selbst in einer griechischen Galerie ausgeführt worden, allerdings viel kleiner.
Rechtlich sind beide Fälle klar: Mit dem Tod eines Künstlers gehen seine Urheberrechte auf die Erben über, mit denen sich die Kuratoren auseinandersetzen müssen. Die entscheiden nun an Künstlers statt, was ein Werk ist und welches noch eins werden kann. In beiden Fällen sind die Beweggründe nobel: Heynen wie Groos wollen im Sinne des Künstlers handeln, sein Werk am Leben und im Gespräch halten – und sie suchen den Konsens mit den Erben. Aber wo liegt die Grenze zwischen Erbewahrung und Erbeverwandlung? Keiner weiß, ob Kippenberger den Lüftungsschacht so oder anders gebaut hätte – und ob überhaupt. Keiner weiß, welchen Spruch Majerus für die Stuttgarter Hundertmeterwand geplottet hätte.
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Wandarbeit nach Michel Majerus in Stuttgart, Installation nach Martin Kippenberger im deutschen Pavillon, Venedig 2003
Es ist schon seltsam: Solange der Künstler lebt, ist er ein absoluter Herrscher. Jedes noch so zufällige Arrangement einer Installation, jedes flüchtige Requisit einer Aktion sind sakrosankt auf Ewigkeit und werden gepflegt und gehütet wie der Pinselstrich eines Gemäldes. Und dann geht dieses Recht auf Gestaltung, das wir dem Künstler und nur ihm persönlich in dieser grenzenlosen Weise zugestehen, an Witwen und Kinder, an anonyme Estates, an Galeristen über. Als ob sich Genie vererben ließe wie das Patent auf einen chemischen Prozess.
Es ist Zeit für einen Kodex, der für Erben und für Kuratoren gilt: Man muss postume Anverwandlungen unmissverständlich als solche deutlich machen, dem Publikum zuliebe – und dem Künstler zum Schutz. Wie in Stuttgart, wo seit dem achten Öffnungstag steht: „1998, temporäre Adaption Kunstmuseum Stuttgart 2011“.