Liebe Leserin, lieber Leser,

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Tim Sommer, Chefredakteur

Rothko, Kandinsky, Klee – so wunderbar es für uns Besucher ist, wenn die Museen für kostbare monografische Ausstellungen verstreute und versteckte Meisterwerke aus aller Welt zusammenborgen: Der wissenschaftliche Erkenntniszuwachs solcher Schauen bleibt oft bescheiden. Viel zu selten wagen sich die Häuser daran, Entwicklungslinien zu erforschen und Bezüge durch die Epochen der Kunst aufzuzeigen, die über ebenfalls populäre, aber letztlich beliebige Zusammenstellungen von Blumenstillleben, Seestücken und Kinderbildnissen hinausgehen.

Marion Ackermanns Ausstellung zum modernen Triptychon im Kunstmuseum Stuttgart (siehe Bericht ab Seite 16) zeigt jetzt mustergültig, wie man die eigene Sammlung fruchtbar macht, indem man aus ihr heraus eine Idee entwickelt und für jeden Besucher sinnfällig darstellt.

Das Triptychon „Großstadt“ von Otto Dix, eine grandiose Parabel über Glanz und Elend der zwanziger Jahre, hängt schon seit vielen Jahren in der städtischen Sammlung, ebenso die Wehrmachtsgespenster von Markus Lüpertz’ „Schwarz-Rot-Gold I–III“. Auch die dreiteiligen Bilder von Francis Bacon, Max Beckmann oder Sigmar Polke, die jetzt nach Stuttgart kommen, sind weltberühmt. Aber noch kein Museum, noch kein Buchautor war bislang der Frage nachgegangen, was die Künstler des 20. Jahrhunderts an der ererbten Form des Altarbildes, die wir von Grünewald, van Eyck oder Memling kennen, immer wieder fasziniert hat – und warum bis heute, auch in Fotografie und Videokunst, darauf zurückgegriffen wird. „Wenn es um große politische oder private Erschütterungen geht, um Ausnahmezustände, um existenzielle Grenzsituationen“, wählen Künstler das altertümliche Triptychon, erläutert Ackermann im art-Gespräch: Robert Longo reagiert auf die Anschläge des 11. September 2001, Bill Viola verarbeitet den Tod seiner Mutter, Ricarda Roggan erforscht den Systemwechsel in Ostdeutschland.

  • Marion Ackermann vor Otto Dix’ Triptychon „Großstadt“ (1927/28), links Ricarda Roggans „Stühle und Tische“ (2003)

Ackermanns Schau zeigt auf faszinierende Weise, wie die scheinbar so form- und regellose zeitgenössische Kunst über die Klassische Moderne mit den Altmeistern verknüpft bleibt. Eine Aufgabe, der wir uns nebenbei ja auch bei jeder art-Ausgabe stellen. Dass Marion Ackermann jetzt als Direktorin an die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf wechselt, ist bitter für Stuttgart, aber sicher eine große Bereicherung für das Rheinland.

Binsenweisheiten des Journalismus: Vorbereitung ist alles, für eine gute Geschichte muss man Opfer bringen. Bevor unsere New-York-Korrespondentin Claudia Bodin zu William Eggleston nach Memphis flog, holte sie sich von Kurator Thomas Weski vom Münchner Haus der Kunst einen Tipp für den Umgang mit dem exzentrischen Fotogra fen: Mit ihm rauchen solle man. Sie kaufte sich die erste Schachtel seit Jahren, und Eggleston erzählte ihr alles. Das Interview lesen Sie ab Seite 54.

Rauchen für die Kunst: William Eggleston und art-Korrespondentin Claudia Bodin in Memphis