Liebe Leserin, lieber Leser
Liebe Leserin, lieber Leser

Sie kommen ohne einander nicht aus, und doch ist das Verhältnis von Sammler zu Künstler selten von durchgängiger Harmonie geprägt: Der Künstler fühlt sich zuweilen vom Besitz ergreifenden Elan des Sammlers vereinnahmt, der Sammler sich vom Freiheitsdrang des Künstlers hintergangen. Beide besiegeln beim aktuellen Ankauf eines Werkes einander stets aufs Neue unverbrüchliche Treue und lauern doch darauf, wer den Schwur als Erster bricht.
Mögen die Paarungen wechseln, mag das Konfliktpotenzial unterschiedlich groß sein, das Verhältnis des einen zum anderen unterliegt Schwankungen. Zuweilen findet der Schlagabtausch sogar auf offener Szene statt - wie Ende 2001, als die Fotografen Andreas Gursky und Thomas Struth den Duisburger Großsammler Hans Grothe des „Ausverkaufs" beschuldigten, weil der einst günstig erworbene Werkblöcke von ihnen entgegen seiner Zusage mit großem Gewinn hatte versteigern lassen.
Nie zuvor ist eine über zehn Jahre hinweg auch öffentlich demonstrierte Allianz jedoch spektakulärer geschieden worden als die zwischen dem englischen Super-Sammler Charles Saatchi, 61, und dem von ihm aufgebauten Künstler Damien Hirst, 39 - dem prominentesten Vertreter der „Young British Artists“. Als Saatchi seinem Protege die Aufmerksamkeit entzog, ging Hirst strategisch gegen ihn vor: Zu Beginn des Jahres 2004 kaufte er von ihm zwölf seiner Werke zum geschätzten Preis von zwei Millionen Pfund (2,9 Millionen Euro) zurück.
Jetzt hat Saatchi den Schlagabtausch fortgesetzt. Der Sammler verkaufte Hirsts spektakulärstes Werk, den in Formaldehyd eingelegten Haifisch mit dem Titel „Die Unvorstellbarkeit des Todes für einen Lebenden“ für rund 10 Millionen Euro an einen anonymen amerikanischen Sammler. Es heißt, dieser wolle die Skulptur dem New Yorker Museum of Modern Art stiften.
Hirst hätte seinen Hai viel lieber auch weiter in London gesehen - und zwar im wichtigsten Museum für zeitgenössische Kunst, der Täte Gallery, die schon einige seiner Arbeiten besitzt. Mit dem Verkauf des Schlüsselwerks der Brit Art nach Amerika aber konnte Charles Saatchi nebenbei auch noch Tate-Direktor Nicholas Serota brüskieren, seinen Londoner Rivalen auf dem Feld der zeitgenössischen Kunst. Abgewickelt wurde das Geschäft ausgerechnet über Larry Gagosian, der Hirst als Galerist in den USA vertritt. Pikanter Hintergrund: 1991 hatte Saatchi die Entstehung des Werkes durch Finanzierung und Ankauf für rund 72 000 Euro erst ermöglicht. Der Wert ist seitdem auf das fast 140fache gestiegen.
Mit diesem Editorial, liebe Leserin, lieber Leser, verabschiede ich mich nach über 25 Jahren als Chefredakteur von Ihnen. Künftig werde ich das Kunstmagazin art als Herausgeber begleiten. Als Chefredakteur folgt mir Tim Sommer, den Sie ja bereits durch viele Künstlerporträts und andere Beiträge kennen.
Vielen Dank für Ihr Lob, Ihre Kritik und Ihre Treue

