Das Prinzip Gießkanne – und ein Biotop, das es braucht
Das Prinzip Gießkanne – und ein Biotop, das es braucht
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zum Glück häufen sich die Déjà-vu-Effekte: Die Kunstmesse ART COLOGNE fühlte sich in diesem Jahr so an, als hätte es Corona nie gegeben, Gedrängel an den Ständen, Schaulaufen auf den Gängen, und sogar das Bussi-Bussi ersetzt schon langsam das distanzierte Faust-an-Faust, was ja nie so recht zum Kunstbetrieb gepasst hat. Ein Thema aber, das durch die Hallen waberte, störte etwas den Frieden: Der große Bericht zur »Kulturmilliarde«, den ein Rechercheteam von Deutschlandfunk Kultur auf dem Punkt veröffentlicht hatte (siehe Bericht auf Seite 140). Um es vorweg zu sagen: Es ist sehr lobenswert, dass sich der öffentliche Rundfunk auf den Weg gemacht hat, herauszuklamüsern, wie die Pandemiebeihilfen aus dem »Neustart Kultur«-Programm unter dem Druck der Ereignisse verteilt wurden und wo der Geldsegen am Ende gelandet ist. Immerhin sind von den 1000 Millionen rund 100 Millionen in den Bereich der bildenden Kunst geflossen: an Künstlerinnen und Künstler, an Kunstvereine, Messen, Galerien.
Was mich an dem interessanten Bericht, der unter dem Titel »Die Kunst des Lobbyierens« auch in Textform auf der Website des Senders zu finden ist, stört, ist seine romantische Schlagseite. Es sei nicht genügend der Bedarf geprüft und stattdessen »Exzellenz« gefördert worden. So seien auch Galerien mit Abermillionen Umsätzen bedacht worden, die auch ohne das Geld gut durch die Pandemie gekommen wären. Dahinter steckt, so denke ich, die naive Vorstellung, es gäbe im lieben, armen Kunstbetrieb eine böse, reiche Macht: die kommerzielle Raffgalerie als Hai im bunten Korallenriff der Kunst. Es ist aber anders. Das System funktioniert nur, wenn es auch die Großgalerien als Akteure gibt, um die sich letztlich alles gruppiert, an denen sich vieles orientiert. Auch sind in der Weltgeschichte der Kunst nicht sehr viele Galeristen steinreich geworden. Warum? Weil sie das Geld der Sammler zur Hälfte an die Künstlerinnen und Künstler und dann noch einmal eine Menge an die Mit- und Zuarbeiter weitergeben, die Ausstellungen, Kataloge, Archive erst möglich machen. Je größer die Galerie, desto zahlreicher dieses Umfeld. Wenn das Prinzip Gießkanne einmal richtig war, dann hier. Wie auf der ART COLOGNE zu besichtigen war: Das Biotop hat überlebt, weil die systemrelevanten Akteure, kleine und große, überlebt haben. Gut so.
PS: Mit ganz anderen Nöten haben Künstler und Kuratoren aus der Ukraine zu kämpfen – unser großer Bericht ab Seite 80 zeigt, wie sich in Wien die Unterstützung formiert