Die Lehre der Elbphilharmonie: Schwamm drüber, liebe Bürger!
Die Lehre der Elbphilharmonie: Schwamm drüber, liebe Bürger!
TIM SOMMER, CHEFREDAKTEUR
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Edle Nachbarschaft: Das Berliner Museum der Moderne entsteht zwischen Philharmonie und Neuer Nationalgalerie, direkt daneben steht die St.-Matthäus-Kirche -

Haben Vermittlungsbedarf: Auftraggeber Hermann Parzinger, Monika Grütters, Udo Kittelmann, Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron -

Herzog & de Meurons Hamburger Projekt Elbphilharmonie kostete viel, dauerte lange – und wird trotzdem heiß geliebt
LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,
in Hamburg sind sie nun alle mächtig stolz auf ihre »Elphi«. Ich kann mich über so viel Vergesslichkeit und so vorschnelle Vergebung nur wundern, auch wenn ich das Glasgebirge von Herzog & de Meuron sehr mag, das ich täglich aus meinem Bürofenster sehe. Das Konzerthaus über dem alten Elbspeicher sollte die Hansestadt nur 77 Millionen kosten, verkündete Bürgermeister Ole von Beust zu Anfang. Nach üblen Pannen, peinlichen Querelen, lähmendem Stillstand und zwei Bürgermeister später war der Steuerzahler dann mit 789 Millionen Euro dabei. Was mich daran bis heute ärgert, sind nicht die schieren Kosten, sondern die demokratiegefährdende Fahrlässigkeit und Argumentationsfaulheit, mit der das Kulturprojekt betrieben wurde. Ich finde, man darf sehr wohl viel Geld für Leitbauten der Gemeinschaft ausgeben – vorausgesetzt, man wirbt mit Ehrlichkeit und guten Gründen um breites Einverständnis und arbeitet so professionell mit dem öffentlichen Budget, wie ein privater Bauherr das auch tun würde.
Beim Berliner Museum der Moderne haben sich die prognostizierten Kosten nun schon vor dem ersten Spatenstich fast verdoppelt, eine Verdreifachung auf 600 Millionen, wie von vielen Experten vorausgesagt, ist schulterzuckend irgendwie auch fast schon akzeptiert. Wieder spielt das protzige Wunschgrundstück eine fatale Rolle, wieder verbindet sich viel persönlicher Ehrgeiz mit dem Projekt. Aber anders als bei der Elbphilharmonie haben Herzog & de Meuron diesmal statt Liebe auf den ersten Blick zu entfachen vor allem Hohn und Spott auf sich gezogen, weil das exquisite Haus wie ein hochskalierter Discounter wirkt. Und anders als in Hamburg fehlt dem Projekt die visionäre Kraft, die es durch alle Fährnisse tragen könnte. Das schlichte »Mehr Platz für mehr Bilder« wird nicht reichen. Wenn nicht alles täuscht, werden die Jahre bis zur Eröffnung so quälend werden wie beim Humboldt-forum. Es sei denn, den Berliner Sammlungen gelingt es endlich, die Dringlichkeit zu vermitteln, die ein Museum des 20. Jahrhunderts für die Gestaltung des 21. Jahrhundert tatsächlich haben kann. Ansonsten bleibt nur, sich auf die Hamburger Zauberformel zu verlassen: »Koste es, was es wolle, und dann Schwamm drüber, liebe Bürgerinnen und Bürger!« Klappt leider immer wieder.
PS: Ich danke herzlich für die Glückwünsche zum 40-jährigen Jubiläum, die uns von vielen Lesern erreicht haben. Es ist ein schönes Gefühl, ein so geliebtes Magazin zu machen!