Vom mahnenden Charakter des Vakuums

Vom mahnenden Charakter des Vakuums

TIM SOMMER, CHEFREDAKTEUR

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Wundersame Sinnverschiebung: In Berlin soll das Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal zum demokratischen Einheitsdenkmal werden – allein durch das Weglassen der Figuren

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,

ich bitte um Entschuldigung, dass sich diese Seite langsam zur Berlin-Kolumne entwickelt. Dahinter steht gar kein Plan, es ist die schiere Wucht der surrealen Geschichten, die diese Stadt produziert. Eben noch hat man konsterniert die Verdoppelung der Baukosten beim Pergamonmuseum zur Kenntnis genommen, da wabern schon die Gerüchte über erneuten Sanierungsbedarf am erst vor wenigen Jahren fertiggestellten NEUEN MUSEUM (siehe Bericht auf Seite 134). War man eben noch froh, dass der alberne Entwurf einer Bürgerwippe vor dem neu errichteten Hohenzollernschloss als »Freiheits- und Einheitsdenkmal« auf Eis gelegt wird, offiziell weil die Kosten von zehn auf 15 Millionen Euro gestiegen waren, werden vom Haushaltsausschuss des Bundestages prompt 18,5 Millionen Euro genehmigt. Allerdings nicht für das neue Denkmal, sondern für ein altes, bei dem – jetzt kommt die Berliner Pointe – das pure Nichts für die Sinnstiftung sorgt!

Es geht um das alte Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal von Reinhold Begas und Gustav Halmhuber auf der Schlossfreiheit, 1897 enthüllt und 1950 abgerissen: ein neobarockes Ensemble nach dem Geschmack von Wilhelm Zwo, bei dem Reichseini- ger Wilhelm Eins als neun Meter hoher Pickelhaubenträger auf einem Riesensockel siegreich aus der Schlacht ritt, begleitet von allerlei heroischem Zierrat und umfangen von einem vielfach bekrönten Kolonnadenhalboval.

Alle Bronze will man nun weglassen und nur den Säulengang simplifiziert wiederaufbauen. Und es sollte mit dem Teufel zugehen, wenn hinter dem völlig überraschenden Geldsegen aus der Bundesschatulle nicht wieder der Förderverein Berliner Schloss steckt. Zumal wohlkoordiniert zum Etatbeschluss in der Tageszeitung »Die Welt« die verwegene Deutungshilfe von Architekturwissenschaftler Peter Stephan erschien, seines Zeichens Verfasser der Werkmonografie von Schlossneubauarchitekt Franco Stella. Der »Aspekt der nationalen Einheit«, so schreibt er, würde »neu interpretiert«. Entscheidend sei nun »nicht mehr die Präsenz der Figuren, sondern deren Abwesenheit «. Das »Vakuum« hätte – Achtung – »mahnenden Charakter«! Ja, dieses Vakuum hat tatsächlich einen mahnenden Charakter: Es zeigt die völlige Abwesenheit neuer Ideen.