Editorial
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Liebe Leserin, lieber Leser,
Spott, Wut, Skepsis, Überdruss, Ermattung: Die Spannweite der negativen Reaktionen auf den Ausgang des Berliner Schlossbauwettbewerbs (siehe auch Umfrage auf Seite 112) war groß. Lust hat keiner mehr auf das Projekt, das doch angeblich zum Identifikationspunkt des ganzen Landes werden soll. Demonstrativ begeistert zeigten sich eigentlich nur der Juryvorsitzende Vittorio Lampugnani, Preußen-Stiftungspräsident und Hausherr des künftigen Humboldt-Forums Hermann Parzinger und Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee, der zwischen zwei Bahnskandalen Gelegenheit zum öffentlichen Lächeln fand, was jedem Politiker mal gut tut.
Dabei ist das Ergebnis von Deutschlands wichtigstem Architekturwettbewerb schlicht erbärmlich. Franco Stellas Siegerentwurf ist an Tristesse kaum zu überbieten. Er ist rückwärtsgewandt und unoriginell. Hinter den Barockfassaden sind monotone Pfeilerhallen geplant, die Nord-Südquerung hat den Charme einer Schlucht zwischen Bürotrakten, und die neue Front zum Fernsehturm hin ist ein sinnloses, zugiges Treppenhaus, wie der Duce es wohl modern gefunden hätte. Die größte Qualität des Stella-Plans ist seine Treue zu den fantasieabschnürenden Wettbewerbsvorgaben. Die haben dafür gesorgt, dass es nur schiefgehen konnte. Dass Tiefensee – oder sein Staatssekretär Engelbert Lütke Daldrup, der es als erfahrener Stadtplaner wissen musste – nicht den Mut aufgebracht haben, das absehbare Desaster zu verhindern, ist ein schweres politisches Versagen. Und auch Parzinger ist bislang die Erklärung schuldig geblieben, worin denn nun die bezwingende Logik seines Forums mit Kanus und Totempfählen aus den geknechteten Regionen der Welt gerade hinter absolutistischen Fassaden liegen soll. Das Konzept ist widersinnig und folgt nur der Not, die Dahlemer Sammlungen an die Museumsinsel anzudocken.
Zumindest eine Ahnung der vertanen Möglichkeiten eines schlauen Umgangs mit dem prominentesten Bauplatz der Republik vermittelt der Entwurf des Büros Kuehn Malvezzi, der wegen Verletzung einiger Vorgaben nur einen „Sonderpreis“ bekam. Er zeigt das Haus als das, was es ist: eine Reminiszenz an das verlorene Preußenschloss. Ein rohe Backsteinhülle mit hohem, lichtem Glasdachsaal, die den hohlen Stadtraum wieder füllt. Der barocke Zierrat wird nach und nach angebracht, so, wie das Geld für die Fassade zusammenkommt. Das wäre wenigstens ehrlich gewesen.
Ihr Tim Sommer
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Franco Stellas Entwurf: monotone Loggien am Stadtschloss -

Sonderpreis für Kuehn Malvezzi: Das Schloss ist eine Backsteinhülle -

der Zierrat kommt nach und nach – wenn überhaupt