Liebe Leserin, lieber Leser,
Liebe Leserin, lieber Leser,

Zeitreisen sind Tradition bei art – genau vor einem Jahr sind wir mit einer großen Serie ins 18. Jahrhundert aufgebrochen und haben eine Epoche gefunden, die uns trotz Reifrock und Perücke überraschend aktuell und verwandt erschien. Die Titelgeschichte dieses Heftes führt in die achtziger Jahre. Keine weite Strecke, sollte man meinen. Aber so, wie uns Rokoko und Aufklärung immer näher rückten und greifbarer wurden, je tiefer wir in die Materie eindrangen, so entfernte sich jetzt dieses letzte Mauerjahrzehnt der alten Bundesrepublik, wurde uns immer fremder und seltsamer.
Ein Beispiel: Genau 25 Jahre ist es her, da nahm Joseph Beuys mit der Kölschrock-Band BAP einen Politschlager auf: „Aus dem Land, das sich selbst zerstört und uns den ‚way of life‘ diktiert, da kommt Reagan und bringt Waffen und Tod, und hört er Frieden, sieht er rot. Er sagt als Präsident von USA: Atomkrieg? – Ja, bitte, dort und da. Ob Polen, Mittlerer Osten, Nicaragua - er will den Endsieg, das ist doch klar. Doch wir wollen: Sonne statt Reagan ohne Rüstung leben! Ob West, ob Ost – auf Raketen muss Rost.“ Im Internet kann man das Video sehen: Der wippende Kunstschamane zelebriert seinen glaubensstarken Sprechgesang mit Hut und Weste, die Mundart-Rocker klampfen dazu engagiert. Es ist anrührend und zugleich komisch. Denn einerseits ist es so völlig undenkbar, dass sich ein Kunststar heute mit einer politischen Botschaft von dieser Schlichtheit auf eine Bühne begäbe. Anderseits: Schön müssen die Zeiten gewesen sein, in denen man sich auf so klare Feindbilder verständigen konnte – und fest glaubte, dass man das Gute erzielt, wenn man das Böse geißelt.
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Ironiegenie vs. Polit-Schamane: Martin Kippenberger, 1985 vor seinem Bild „Krieg böse“, Joseph Beuys bei einer Friedensdemo, 1982 in Bonn
Allerdings muss man sich hüten: Nichts ist leichter, als frühere Zeiten für naiv zu erklären. Denn immer gibt es schon die Einsicht in die höhere Verwirrung, die sich hinter den platten Losungen versteckt Der Weltkriegskampfpilot Beuys wird zum Musterfall des deutschen Lernprozesses: Man kann die Dinge wenden. Dagegen steht der früh gestorbene Martin Kippenberger wie ein Botschafter unseres skeptischen Zeitalters. Ein buntes Bild mit Panzer nannte das Ironiegenie 1983 „Krieg böse“, und schon war klar, was von Menschenketten von Kerzenhaltern seiner Meinung nach zu halten war. Fast schade eigentlich: Der bessere Witz war letztlich mehr wert als die gut gemeinte Tat.
So werden die achtziger Jahre zu einem faszinierenden, vielschichtigen Jahrzehnt des Übergangs von den einfachen Wahrheiten und klaren Bedrohungen der Nachkriegszeit zum Wirrwarr der globalisierten Welt. Erstaunlich vieles, was heute gilt, fing damals an.