Liebe Leserin, lieber Leser

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Tim Sommer, Chefredakteur

es war ein lustiges Bild, Anfang Dezember im neuen Hauptbahnhof von Berlin: Kaum waren die Leute aus dem Zug gestiegen, gingen die Köpfe nach oben. Alle wollten sie sehen, die berühmteste Nullachtfünfzehn-Decke Deutschlands, die nun durch das Urteil des Berliner Landgerichts wieder demontiert und durch die ursprünglich geplante Gewölbestruktur ersetzt werden muss.

Architekt Meinhard von Gerkan, Mitbegründer des Hamburger Büros Gerkan, Marg und Partner (gmp), hatte gegen den Bauherrn Deutsche Bahn AG auf Wahrung seines Urheberrechts geklagt und gewonnen. Bahnchef Hartmut Mehdorn hat in beispiellos selbstherrlicher Art den Entwurf an zwei entscheidenden Stellen verstümmelt: Das gläserne Dach für die überirdischen Bahnsteige wurde von 430 auf 320 Meter gekürzt, für die unterirdischen Hallen hatte er bei einem Berliner Büro eine völlig banale Flachdecke aus Blech bestellt. Angeblich sei damit Zeit und Geld gespart worden - was aber nicht stimmt. Viele Teile waren schon vorproduziert, die Diskussionen und Umplanungen haben kostbare Zeit verschlungen.

Die Kostentreue und Pünklichkeit von gmp sind legendär, sie haben dem Büro ungezählte Großprojekte wie die neuen Flughafenterminals von Stuttgart und Hamburg, die Neue Messe Leipzig und eben den Auftrag für den Umbau des alten Lehrter Bahnhofs in Berlin zum zentralen Bahnknotenpunkt Deutschlands eingebracht Schon die logistische Abwicklung eines solchen Projektes mitten in der Stadt war eine Meisterleistung, auch ingenieurtechnisch war der Bau extrem anspruchsvoll. Dass nun gerade beim Finish gespart werden sollte, zeigt Mehdorns Ignoranz, die ihn als Bauherrn eines Gebäudes von solcher Wichtigkeit disqualifiziert. „Der Bauherr eines Eigenheims lässt sich auch nicht vom Architekten vorschreiben, welche Decke in sein Wohnzimmer kommt“, tönt Mehdorn - und beweist damit nur, dass er den Unterschied von Schutz der Privatsphäre und Verantwortung für den öffentlichen Raum nicht begriffen hat. Alle durch den Bahnchef veränderten Teile waren mit den Architekten abgestimmt und vereinbart worden.

Schon Monate vor der Eröffnung des Berliner Hauptbahnhofs hat der Kunsthistoriker Horst Bredekamp an den großen Kollegen Aby Warburg erinnert, der von den „Menschenrechten des Auges“ sprach. In leichter Dramatisierung klagte Bredekamp: „Hier sind körperliche Empfindungen betroffen, und daher erfüllen die Eingriffe den Tatbestand der Körperverletzung von Millionen von Menschen, die diesen Bahnhof betreten werden. Es ist das größte Desaster, das die Deutsche Bahn den Bürgern jemals zugefügt hat.“ Und wirklich wird jeder die Armseligkeit der Mehdornschen Baumarktdecke schmerzlich empfinden: Die Säulen der Bahnsteighalle recken hilflos ihre Stummel in plump und unvermittelt ausgeschnittene Ovale. Die Notlösung ist offensichtlich, gmp hatte elegante und lichte Kreuzgratgewölbe vorgesehen, die dem Riesenbau Rhythmus und Spannkraft verliehen hätten. Es geht nicht um eitles Dekor, wie Mehdorn wohl meinf sondern um Sinn und Sprachkraft der Architektur.

Beim Bau wird häufig gestritten, dass sich aber Architekten vor Gericht mit ihren Bauherrn anlegen, kommt sehr selten vor. Es könnte den Ruf ruinieren und Aufträge kosten. Ein kleineres Büro als gmp hätte sich auch kaum mit der Bahn angelegt Sein Mut könnte nun Meinhard von Gerkan zum Helden der Branche machen. Der Sieg im Deckenstreit stärkt den Architekten gegenüber Investoren und Bauherren den Rücken: Sie müssen sich von Kostendrückern und Hobbygestaltern nicht alles gefallen lassen.