liebe leserin, lieber leser
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Diese Aussicht mag beflügeln: Trotz aller Sparzwänge und knapper Ausstellungsbudgets werden die kommenden zwölf Monate ein reiches Jahr für all jene, denen die Kunst ebenso wichtige wie erhellende Anreicherung des täglichen Lebens ist. Die Jahresvorschau, längst traditionelles Extra-Heft der Januarausgabe, führt darüber vielfältigen Beweis.
Sicherlich ist unbestritten, dass Museumsdirektoren, Kunstvereinsleiter und freie Ausstellungskuratoren unter einem verschärften Finanzdruck planen und arbeiten müssen. Die goldenen Achtziger und Neunziger des vergangenen Jahrhunderts sind luxuriöse Erinnerung. Doch die rund 390 wichtigsten Ausstellungen - vom Recherchenteam der Redaktion unter weitaus mehr Terminen ausgewählt - lassen weder im Spektrum noch in der Qualität Abstriche erkennen. Europas Kunstlandschaft präsentiert sich reichhaltig wie zuvor.

Selbst die Experimentierfreudigkeit hat nicht gelitten. Allenfalls die Laufzeiten wurden verlängert - was bei attraktiven Ausstellungen mit großem Besucherandrang dem Einzelnen zugute kommt, der sich nun nicht mehr im Sekundentakt an den wichtigen Werken vorbeischieben muss. Für Kulturpessimismus ist wahrlich kein Anlass. Zum Start in das Kunstjahr 2005 gibt es diesmal sogar ein großzügiges Geschenk an alle, die auf Reisen gehen können: Das Künstlerpaar Christo und Jeanne- Claude setzt im New Yorker Central Park 7500 goldgelbe Segel. Knapp zehn Jahre nach der ebenso glanzvollen wie poetischen Verhüllung des Berliner Reichstages stehen die beiden vor der Vollendung ihres wohl persönlichsten Projektes: Der Verzauberung des weitläufigen Parks in ihrer Wahlheimat. Der Rahmen ist Anhängern der beiden Künstler bekannt: Auch die Aktion .The Gates“ wird ausschließlich von Christo und Jeanne-Claude finanziert. Nicht ein Cent öffentlichen Geldes fließt in das Künstlervorhaben. Und wie bei vorangegangenen Projekten, so werden auch die Sonnensegel zwischen den Torpfosten ein Werk auf Zeit sein, das nach 16 Tagen wieder abgebaut wird; denn, so Jeanne-Claude: „Besitz und Dauer sind der Feind der Freiheit.“ Den größten thematischen Schwerpunkt des neuen Kunstjahres steuert der Kalender bei: 1905 gründeten vier Studenten in Dresden die Künstlervereinigung „Brücke“. Als Expressionisten revolutionierten sie mit ihren ausdrucksstarken Bildern, Holzschnitten und Skulpturen die Kunst.

In ersten Ausstellungen wurden die bewusst roh und zuweilen gar primitiv wirkenden Werke von Experten wie Publikum heftig diskutiert. Bis dann die fanatische Kunstpolitik der Nationalsozialisten der Avantgarde den Garaus machte, indem sie den Expressionismus als „entartete Kunst“ diffamierte. Nach 100 Jahren erinnern gleich elf Ausstellungen zwischen Madrid, Berlin, Bremen und Bielefeld an den Aufbruch von einst. Auch das ein Anlass zur Vorfreude.
